Kann man denn überhaupt Lärmschutzwände mit Solarmodulen versehen?

Wir sagen: Ja! Und zeigen euch ein paar Beispiele.

Beispiele für Retrofit und integrierte Solarmodule:

Solar-Aufsatzelement auf einer Lärmschutzwand. Quelle: Forster

Lärmschutz bei Lichtenfels. Quelle: IBC Solar
Eine bifaciale Photovoltaik-Schallschutzanlage entlang einer Bahnlinie in Münsingen/Schweiz. Bild: Tomas Wüthrich. Quelle: InfraWerke Münsingen
Lärmschutzwand mit integrierter Photovoltaik-Kombination an der A3 bei Aschaffenburg. Quelle: © R. Kohlhauer GmbH, Gaggenau und Freiraumgestalter
Gotthard-Alpentransit zwischen Schweiz und Italien. Quelle: Treiber Lärmschutz
Photovoltaische Lärmschutzwand Neumarkt in der Oberpfalz. Quelle: Lärmschutzplaner

Und was macht die Politik und die Forschung?

Wir haben euch einige Anfragen und wissenschaftliche Arbeiten zusammengestellt:

Und jetzt ein paar Details

Was soll mit dem Strom passieren?

Ganz einfach: Der wird entweder mit einem Standard Wechselrichter in das normale Stromnetz eingespeist. Oder mit einem speziellen Wechselrichter in das Bahnstromnetz. In der Schweiz gibt es das schon:

Auf dem Dach des Frequenzumformers in Zürich-Seebach hat die SBB die erste Photovoltaik-Anlage in Betrieb genommen, welche Bahnstrom produziert. Dieser kann direkt und sehr effizient ins Bahnstromnetz eingespeist werden. Der Strom reicht für 1,4 Millionen Personenkilometer. (…)

Das Innovative und Besondere an der PV-Anlage auf dem Dach des Frequenzumformers in Zürich Seebach ist, dass sie – im Gegensatz zu den anderen PV-Anlagen der SBB – Bahnstrom* und nicht Haushaltsstrom* produziert. Zudem wird der Strom über einen bestehenden Trafo ins Netz eingespeist (…)

Quelle: SBB Sonnenenergie für den Bahnstrom

Natürlich steht dabei auch gleich im Raum: Was mit dem Strom an einer Bahnlinie machen? Einerseits ist direkt neben den Lärmschutzwänden oder zumindest jenseits der entlang führenden Straßen in der Regel Wohnbebauung, also eine Abnahmemöglichkeit für Haushaltsstrom. Andererseits: Hinter der Lärmschutzwand verläuft die elektrisch betriebene Bahn – braucht die nicht auch Strom? Das erste, was somit geklärt wäre: potentiell gibt es sogar zwei Abnehmer des Stroms.

Bleiben wir einen Moment bei diesem Nebenschauplatz: Lässt sich Strom aus einer Solaranlage ins Bahnstromnetz einspeisen?

Das erste Photovoltaik-Kraftwerk weltweit für Bahnstrom mit einer Leistung von 950 KW wurde in Österreich bei Wilfleinsdorf südöstlich von Wien im Jahr 2015 in Betrieb genommen. Der Gleichstrom einer Agro-PV-Anlage wird mit heute längst beherrschter Leistungs­halbleitertechnik in Bahnstrom umgewandelt (größere Umformer funktionieren mit einem Läufer, verknüpfen also Motor und Generator). In der Schweiz gibt es in Zürich ebenfalls eine Anlage, auf dem Dach eines Bahngebäudes montiert. Und die Deutsche Bahn hat in Schleswig-Holstein seit kurzem bei Neumünster ein Kraftwerk mit 42 MW (Peak-) Leistung in Betrieb, um den Strom direkt in die Oberleitung einzuspeisen: So bekommt man im Optimalfall (Peak-Leistung) 4 lange ICEs gleichzeitig auf Tempo. Es sind weitere Anlagen in Betrieb oder in Planung (bei Wittenberge; bei Gaarz in Mecklenburg-Vorpommern mit ca. 90 MW Peak…).

Bahnstrom und Haushaltsstrom – was ist der Unterschied?

Haushaltsstrom, also Strom des Lichtnetzes (des „öffentlichen Netzes“), ist Wechselstrom mit einer Frequenz von 50 Hz. Bahnstrom ist Wechselstrom mit einer Frequenz von 16,7 Hz mit einer Spannung von 15 000 Volt (15 KV) auf der Oberleitung. Diese abweichende Frequenz des Bahnstroms stammt aus der Zeit vor mehr als 100 Jahren, als die E-Loks erst das Laufen lernten und ihre Motoren mit Wechselstrom höherer Frequenz nicht zuverlässig zu betreiben waren (starker Abbrand der Kohlebürsten in den Motoren). Und Wechselstrom statt Gleichstrom war und ist nötig, um den Bahnstrom, auf 110 KV hochgespannt, verlustarm über längere Strecken zu transportieren. Neben dem Deutschen Bahnnetz nutzen auch die Bahnen der Schweiz und Österreichs sowie Norwegens und Schwedens 15 KV mit 16,7 Hz.

An einer Lärmschutzwand sind dann aber PV-Elemente auf langer Strecke nötig, um effizient den Bahnbetrieb zu unterstützen. Für einen ICE, den Zugtyp mit dem größten Strombedarf, muss man wohl größenordnungsmäßig 20 km geeignete Wand drei Meter hoch mit PV ausstatten, damit dessen Beschleunigungsvermögen bei Peakleistung der Wand deutlich unterstützt wird. (Andererseits: Wenn ein ICE erst mal auf Tempo ist, bracht er wesentlich weniger Strom, um – zumindest in der Ebene – das Tempo zu halten. Der Alstom Coradia der Breisgau S-Bahn benötigt z.B. mit 4 Waggons bis zu nicht ganz einem Drittel, mit drei Wagen bis zu ca. einem Fünftel eines ICE – und entsprechend weniger an Lärmschutzwand-Strecke).

Aber: Im Zuge der Neubauprojekte der Bahn mit integriertem Lärmschutz, zwischen z. B. Offenburg und Basel oder vielleicht zwischen Stuttgart und Ulm, könnte doch zumindest ein Stück weit was gehen?! Und wenn für Haushalte!

Zur Diskussion der Verschmutzung der PV-Elemente und zu anderen Bedenken:

Der Sachverhalt der Verschmutzung wird allenthalben auf Verwaltungsebene kolportiert. Eine tatsächliche Quelle für diese Information ist Bundesdrucksache 19/11384, ohne dass aber in dieser die Verschmutzungsthematik im Mindesten sachlich erläutert wird. Es fällt auf, dass diese Thematik in der Schweiz bei den dortigen PV-Projekten an Bahnstrecken kein Thema zu sein scheint. Ist dies ein rein deutsches Phänomen? Wie umfangreich sind diese zusätzlichen Verschmutzungen z. B. durch aufgewirbelten Staub, durch Abrieb von Schienen und Radreifen, welchen Einfluss haben sie tatsächlich für die Leistungsfähigkeit und Leistungsverlust und das betriebswirtschaftliche Ergebnis? Und: Ist eine zusätzliche Verschmutzung auf der von den Schienen abgewandten Seite einer Lärmschutzwand überhaupt spürbar gegeben?

Übrigens entstand eine Studie des Bundesministeriums (Einsatzpotenziale erneuerbarer Energien für Verkehr und Infrastruktur … 2020, s.u.) unter Mitwirkung u.a. des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung, angesiedelt beim Eisenbahnbundesamt. Diese Studie zitiert bezüglich der Verschmutzung die oben angeführte Bundestagsdrucksache 19/11384, ohne dass auf eigene Daten insbesondere des Eisenbahnbundesamtes verwiesen wird – was ja normal wäre. (Dabei gibt es doch seit mehr als einem Jahrzehnt PV-Anlagen an Lärmschutzwänden der Bahn bei Duisburg-Ruhrort und in Nürnberg, warum interessiert niemanden, was dort an Daten auszuwerten wäre?) Es ist dies alles für eine Studie aus einer Fachinstitution und mit dem Anspruch wissenschaftlicher Kompetenz sehr ungewöhnlich: Denn statt dessen wurde in der Studie mit der Bundesdrucksache 19/11384 ein Papier zitiert, das vom Verkehrsministerium für den Bundestag vorformuliert wurde: Damit wird dann die Fachstudie des Bundesverkehrsministeriums munitioniert. So ist das keine fachliche Äußerung, sondern der Zirkelschluss einer Hypothese. Geht so Politik? Es passt jedenfalls zu dem Sachverhalt, dass Photovoltaik an Lärmschutzwänden bei Bahnanlagen und an Straßen in Deutschland bisher nicht wirklich aus den Startlöchern herausgekommen ist.

Installation und Betrieb:

Hierzu heißt es in der Bundestag-Drucksache 19/11384 gemäß Vorlage aus dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: „Die wesentlichen Herausforderungen bei der Errichtung der Anlagen bestehen in den Anforderungen zur Eisenbahnsicherheit. Es gibt erhöhte Anforderungen an die Statik sowie an die Befestigung der Module. Dies verteuert die Errichtung der Anlagen deutlich.“ Weitere Details werden nicht genannt. Sind die Abgeordneten, ist die Öffentlichkeit mit näheren Angaben z. B. über das Ausmaß der Verteuerung überfordert? Oder gibt es dazu schlicht keine Fakten, sondern nur Bedenkenträgerei?

In der Bundestag-Drucksache 19/88808 des Bundesministeriums für Verkehr usw. hat diese Diskussion eine gewisse Reifung vollzogen. Jetzt heißt es: „Nach Auskunft des Eisenbahn-Bundesamtes besteht eine Herausforderung in den Anforderungen der Eisenbahnsicherheit an die Statik sowie die Befestigung der Module bei hoher dynamischer Beanspruchung durch die Druck-Sog-Wirkung der vorbeifahrenden Züge.“ Damit sind in der Bundestag-Drucksache 19/88808 die Anforderungen an Statik und Modulbefestigung, die ja eigentlich technisch beherrschbar und kalkulierbar sein sollten, zu einer Herausforderung, sagen wir, aufgestiegen.

Der Autor dieser Zeilen weist ausdrücklich darauf hin, dass er weiterhin auch ein herausforderndes Sicherheitsrisiko bei der Errichtung (sowie der Nachrüstung und der Wartung) derartiger Anlagen erkennt, sofern hierfür bei Bahnbetrieb in Nachbarschaft zu den Gleisen gearbeitet werden muss, was in der Drucksache 88808 nicht mehr zu erkennen ist. Auf der vom Bahnbetrieb abgewandten Seite einer Lärmschutzwand sollte die Lage deutlich entspannter sein oder sich anders definieren: Druck-Sog-Wirkung der vorbeifahrenden Züge? Eher nicht. Aber ein Muss: Sturmsicher.

Gibt es ein Regelwerk, das – auch abhängig von der Art des Bahnbetriebs (Schnellfahrstrecke – ja oder nein) technische Rahmenbedingungen der Integration von Photovoltaik in Lärmschutzwände benennt und damit auch Rechts- und Planungssicherheit für alle Beteiligten herstellt? Wenn nicht, wird es Zeit!

Wer sich wirklich informieren will, was von einer Regierungsseite zur Verbindung von Lärmschutz und Photovoltaik veröffentlicht werden kann, der/dem sei die Studie der Schweizerischen Eidgenossenschaft empfohlen: „Studie über das Potenzial der Lärmschutzwände entlang von Autobahnen und Bahnstrecken für die Produktion von Solarenergie“. Kein bescheuertes Rumgeeiere und substanzloses (Ver-) Zögern, sondern sach- und zielorientiert, detailliert auch zu unterschiedlichen Konzepten, nüchtern und fundiert – und vor allem mit Antworten auf der Grundlage von Erfahrungen, auch zu den Grenzen. Eine Vorlage für die Aufgabe: „Mehr Fortschritt wagen!“